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Shshshshift
Eine queere clubarbeitende Klasse zwischen Lust und Widerspruch ( ) s-p-a-c-e (Ed.) German
Paperback (Klebebindung, Farbe), 418 pages
140 x 205mm
978-3-96042-193-1 / 2-973
18,00 Euro
Publication date: 08/2024
German
Paperback (Klebebindung, Farbe), 418 pages
140 x 205mm
978-3-96042-193-1 / 2-973
18,00 Euro
Publication date: 08/2024

Content

Gespräche mit der queeren arbeitenden Klasse in der Berliner Club- und Ravekultur und analytische Essays

SHSHSHSHIFT versammelt Gespräche mit 20 Clubarbeiten, kontextualisiert durch Fußnoten. In einem einleitenden Essay betrachtet SHSHSHSHIFT die Sozietät von Clubarbeit und ordnet sie zwischen Marginalisierung, Mainstreamisierung, Institutionalisierung und Kommerzialisierung ein. Aus einem Innenraum der kollektiven Erfahrungen heraus ergeben sich multidimensionale und transversale Narrationsstränge über die sich verändernden Bedingungen der Arbeit in der durchgentrifizierten Berliner Club- und Ravekultur.


Und eine Kartografie der subkulturellen Clubarbeit als eine anstrengende, leidenschaftliche und manchmal auch belastende Praxis zwischen Gegenöffentlichkeit, Prekarität und dem fortschreitenden Einwirken von hegemonialgesellschaftlichen Machtstrukturen und neoliberalen Verwertungslogiken.


Editors

( ) s-p-a-c-e — () s-p-a-c-e (hg.) ist eine unabhängige und interdisziplinäre kollektive Praxis mit wechselnden Agierenden und befasst sich mit subkultureller und queerer Club- und Ravekultur aus einer Erfahrung der Teilhabe heraus. Wir kuratieren, performen, vermitteln, gestalten und publizieren. read more

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Excerpt from the book Shshshshift:

Leseprobe aus Kapitel 1

Schicht (de) beschreibt die Schichtarbeit, die durch ein lineares Zeitverständnis strukturiert ist und seit jeher einen Regulierungs- und Disziplinierungsmechanismus für die arbeitende Klasse darstellt. Physische Arbeit, zu wechselnden Bedingungen und in Bezug auf das gesellschaftliche Leben zu konstant atypischen und asynchronen Zeiten. Routinen und Abläufe in ständiger Bewegung und Koordination. Eine soziale Choreografie der Arbeitenden, die auf demselben Arbeitsplatz über die Zeit hinweg durchwechseln.  

Shift (en) beschreibt eine kulturproletarische Sozietät in Dissonanz mit den hegemonialen sozialen Verhältnissen, die sich nicht revolutionär oder spektakulär auswirkt, sondern sich als ein Driften, als ein Verschieben von Wahrnehmungen und Bedingungen, als Dissoziieren von Welt bemerkbar macht und sich damit als Erzeugung und Erfahrung von dissidenten Realitäten nicht-normatives Raving verwirklicht. Ein vibrierender Korridor der Diversität, eine transversale Auffassung von Realität. Transformation, die nicht neoliberal verwertet werden kann und nicht innovativ ist, sondern eine andere Orientierung und Aufwertung des Handelns darstellt, die sich auf Erfahrungen bezieht, und nicht auf Konzepte. Ein gleitender Paradigmenwechsel, der nicht (progressiv) revolutionär oder (konservierend) spektakulär ist. Und somit queerem Club- und Rave-Erleben als zeitlich und räumlich begrenztem Worldmaking und als ein Imaginieren und Praktizieren von dissidenten und dissonanten anderen Realitäten ähnelt.

Shshshshift ist durchdrungen von einem vibrierenden, wabernden und treibenden 4/4 Bass, den Clubarbeitende häufig nur als physischen Schalldruck, dreckig, verzerrt und beiläufig wahrnehmen, während ihre Arbeit knapp außerhalb des Epizentrums des Clubs, des Dancefloors, ihren Platz findet. Bpm, dumpfe Lautstärke, fragmentierter Schalldruck, das Gefühl in der Magengrube am Rande der Tanzfläche aufgrund des pumpenden Basses, ein lautmalerischer Ausdruck. Ein von Betonwänden gebrochener, teilweise absorbierter, unscharfer Klang, vom Raum beeinflusst und gefiltert, nicht so klar, wie für die Ravenden auf der Tanzfläche, sondern unperfekte Sound-Bedingungen, wie sie von den Arbeitenden an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen im Club wahrgenommen werden. Sowohl synthetische Beats eines treibenden, funktionalen Techno, als auch synchronisierte menschliche Herzschläge. Die vom Tanzen erhöhte Herzfrequenz der Ravenden, die in den Zwischenzeiten der eigenen Bewegungslosigkeit im Herzschlag der Arbeitenden einen Ruhepuls findet. Der Club als Ort und Sound, als empathische Symbiose von Raum, Klang und Körpern, abhängig von den Gegebenheiten des Ortes und des Soundsystems, den Reflektionen des Betons, den sozialen Vibes der Crowd — ein physisch spürbares, waberndes und treibendes Gemisch des 4-to-the-floor, den Clubarbeitende bei ihrer Arbeit nur dreckig, verzerrt und beiläufig wahrnehmen. Clubarbeit ist vornehmlich körperliche, anstrengende Arbeit, lustvoll getaktet und durchdrungen vom Beat, der diese Arbeit – ähnlich präzise wie die Zeit und doch ganz anders – im Hintergrund strukturiert, und sie mit den Ravenden synchronisiert.

Shshshshift als Verschiebung der Dimensionen: Eine Schicht(ung) von Sound, Bewegung, Arbeit, Abläufen, Kräften, Leidenschaft und Freude. Eine Geschichte ohne Kontinuität, die mit dem Berliner Mauerfall und der sogenannten „Wende“ an Intensität gewinnt. Eine Geschichte, die von vermeintlicher Freiheit und den schnell folgenden (Ent)täuschungen erzählt, und die von nicht-normativer und queerer Sozietät als energetischer transversaler Vektor in einer kommerzialisierten und kapitalisierten Gegenwart aufgegriffen und fortgeführt wird.

Shshshshift steht für die Dringlichkeit eines ermächtigenden kollektiven Handelns, das keinen Stillstand kennt und sich stur und monoton vollzieht. Es verweist so auf eine Akkumulation von zusätzlicher unbezahlter Arbeit an der eigenen Subjektwerdung innerhalb den alltäglichen Mehrfachbelastungen von Marginalisierung und der strukturellen Verstrickung von Identität in einem post-homosexuellen liberalen Kontext. Die Notwendigkeit einer Praxis in einer Faltung von Zeit, Raum und physischem Dasein bricht die systemischen Grenzziehungen der Hegemonialität und öffnet Grenzbereiche der Multidimensionalität, wobei wir uns besonders auf die sublimen, aber alles andere als  subtilen, internalisierten Auswirkungen von Klassenverhältnissen konzentrieren.

Shshshshift erzeugt eine Textur der Beziehungen, ein Gewebe der Interdependenz. Die Gespräche beleuchten sozio-kulturelle und ökonomische Abhängigkeiten von Clubarbeit, bearbeiten unzureichend adressierte Klassenunterschiede als Überlagerungen von subkulturellen Milieus und identitätspolitischen Kategorien. Die Gespräche verstehen Queerness als körperliche Praxis der Arbeit, die durch Feedbackschleifen und endlose Schichtungen und Loops reibend auf die hegemoniale Realität erwirkt, und so über sie hinausgehen kann. Durch die Benennung der sozialen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen von Clubarbeit können institutionalisierte und internalisierte Machteinwirkung, Gewaltausübung und hegemonialgesellschaftliche Ausschlüsse adressiert werden. Ein Verhandeln von Strategien und Taktiken der Orientierung und Praktiken des solidarischen Handelns, die sich in Verhaltensweisen zeigen, die sich mitunter nicht um Normen scheren, sondern den gesellschaftlichen Status Quo verändern und somit den Kontext des Möglichen erweitern wollen. Das ist allen drei identitären Kategorisierungen gemeinsam, mit denen wir uns befassen: (1) Klasse als Praxis der Arbeit, und der Produktionsverhältnisse und deren hierarchisches Verhältnis von unten und oben. (2) Subkultur als Praxis des Widerstandes und Anti-Haltung gegen das Establishment, die doch in dessen sozialen Konstrukten verhaftet ist. (3) Queerness als grenzüberschreitende Praxis der Transformation eines Dazwischens und Außerhalbs, das sich einem binären System verweigert und den Bias der Gegensätze in seiner Wirkkraft stört.

(…)

Shshshshift stellt einen fortwährenden, zaghaften und erratischen Versuch dar, Licht auf etwas zu werfen, das zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren in Club- und Ravekontexten oszilliert. Diese wenig beachteten (inter)persönlichen (Arbeits-)Beziehungen definieren den Kern unserer subkulturellen und queeren Gemeinschaften. Eine sensible und intime Annäherung aneinander in Gesprächen, Beobachtungen, Dialogen, Fragen, Diskussionen, Reflexionen mit und von Berliner (queeren) Clubarbeitenden. Die Gespräche bewegen sich mäandernd um subjektive Erfahrungen aus dieser arbeitenden Klasse, orientieren sie zu einer perspektivischen Narration und schlüsseln dabei Mehrfachbelastungen, Anerkennungskämpfe, Krisenherde, soziale Mobilität und Migration und ihre materiellen Bedingungen auf.

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